Sonderforschungsbereich 1214

Anisotrope Partikel als Baueinheiten:

Maßschneidern von Gestalt, Wechselwirkungen und Strukturen

In der Natur existieren zahlreiche, faszinierende Beispiele für Materialien, deren herausragendes Eigenschaftsprofil auf einer definierten Anordnung unterschiedlicher, nanoskaliger Phasen basiert. Die bemerkenswerte mechanische Belastbarkeit von Knochen oder Holz beruht auf derartigen Prinzipien mit synergistischen Beiträgen der verschiedenen Einzelkomponenten. Eine vergleichbare Organisation synthetischer Materie geht weit über den derzeitigen Stand der Technik hinaus. Ein aussichtsreicher Ausgangspunkt als Alternative, beispielsweise zur Bildung makroskopischer Kristalle direkt aus einer Lösung von Ionen oder Molekülen, ist die Bildung von ausgedehnten Festkörpern aus Nanopartikeln und deren präziser Assemblierung. Die Natur der Partikel sowie deren Anordnungsprozess bestimmen letztendlich die interne Struktur und die Eigenschaften der resultierenden Festkörper.

Im Vergleich zu sphärischen Partikeln, die bereits umfassend untersucht wurden, sind Partikel mit einer anisotropen Gestalt oder Oberflächenchemie mit einer enormen Varianz gegenseitiger gerich­teter Wechselwirkungen und Reichhaltigkeit von Überstrukturen verbunden. Die dazugehörige Energie­landschaft ist inhärent viel komplexer, da auch die relative Anordnung zu Nachbarpartikeln berücksichtigt werden muss. Daher kann ein Anordnungsprozess auf unterschiedlichen Pfaden erfolgen und auf bisher nicht vorhersagbare Weisen zu verschiedenen Überstrukturen führen. Derzeit sind verlässliche Pfade zur Erzeugung anisotroper Partikel sehr begrenzt, und soweit bekannt zumeist empirisch gefunden. Die Steuerung von Partikeleigenschaften wie der Form, der Morphologie und der Oberflächenchemie ist dabei der Schlüssel zum Maßschneidern des Anordnungsprozesses, da die strukturelle Anisotropie bereits die Information zu orientierungsspezifischen Wechselwirkungs­poten­tialen enthält. Die Auswirkungen gehen weit über die Strukturbildung hinaus, da sowohl auf der Ebene der Partikel als auch der Überstrukturen stark gerichtete optische, elektronische, magnetische oder chemische Eigenschaften erhalten werden können. Diese funktionale Anisotropie kann aber nur erzeugt werden, wenn die strukturelle Anisotropie beherrscht wird. Im Endergebnis kann man damit rechnen, dass eine strukturierte Anordnung einer Kombination unterschiedlicher Partikel Materialien mit kollektiven Eigenschaften liefern wird, die bei weitem eine einfache Überlagerung der Eigen­schaften der isolierten Bestandteile übertreffen.


Die Kontrolle der Anisotropie ist der Schlüssel, um das gewaltige Potential partikelbasierter Ansätze für neue synthetische funktionelle Materialien nutzen zu können. Gerichtete Wechselwirkungen sind der wichtigste Faktor und die strukturelle Anisotropie ist der Parameter diese maßzuschneidern. Um die genannten Ziele zu erreichen, muss eine größere Initiative, die die erforderliche interdisziplinäre Expertise im Bereich der Synthese, der Analytik und der Theorie sowohl auf dem Gebiet der harten- als auch der weichen Materie aufbaut, in enger Zusammenarbeit aus Chemikern und Physikern eingerichtet werden. Dieses facettenreiche Profil an Expertise wird in Konstanz in einzigartiger Weise zur Verfügung gestellt, da hier vorhandene langjährige Forschung der Physik der weichen Materie in letzter Zeit speziell mit Blick auf den SFB durch Kolloidchemie ausgebaut wurden. Unsere Initiative zielt darauf ab die Grundlagen zum Verständnis und zur Nutzung der strukturellen Anisotropie zu legen, um die funktionelle Anisotropie der Partikel bei maßgeschneiderten anisotropen Wechselwirkungen und hierarchischen Anordnungen auf allen Skalen (Zeit, Größe und Struktur) zu steuern. Dies schließt sowohl die Eigenschaften als auch die Übergangszustände ein. Wir erwarten die Rolle der Anisotropie bei der Partikelform, der Oberfläche und der Wechselwirkung in weichen Anordnungen und festen Strukturen durch die Entwicklung und Kombination experimenteller und theoretischer Methoden, die auf unterschiedlichen Längen, Zeit und Strukturskalen ansetzen, zu verstehen. Dabei rechnen wir mit Durchbrüchen auf den Gebieten der maßgeschneiderten Partikel­synthese, nichtklassischer Kristallisation und der partikelbasierten Materialien mit maßgeschneiderten kollektiven Eigenschaften.

Der SFB wird die internationale Führung in diesem wichtigen und aufstrebenden Bereich der Materialforschung übernehmen. Grundlegende Fortschritte in der Kolloidwissenschaft und eine nachhaltige Entwicklung entspringen dabei der dauerhaften Verbindung aus Materialchemie, analytischer Chemie, Theorie und experimenteller Physik.